Gemeindeglocke

Die Frauenberger Gemeindeglocke besteht aus Bronze. Während des 2. Weltkrieges blieb sie, Dank des schwer zugänglichen Standortes, vor einer Einschmelzung verschont. Auf der Glocke befindet sich eine lateinische Inschrift. Das Herstellungsjahr sowie der Name des Glocken-gießers fehlen. Dies lässt auf eine Herstellung im früheren Mittelalter schließen (1), weil bei Glocken jüngerem Datums der Name des Glockengießers sowie das Jahr der Herstellung auf der Glocke vermerkt sind. Der ursprüngliche Standort war wohl die Burgkapelle bei der Frauenburg. Auf einer Forstkarte (2) aus dem Jahre 1759 ist die Lage der Kapelle verzeichnet.

 

Die lateinische Inschrift hat folgenden Wortlaut: „gregorio militi concervat baptismum saluten vim kathrina deleat malorum aurora“
Im Jahre 1963 wurde die Inschrift übersetzt (3). Das heißt dann entweder (1. Deutung):

„Dem Soldaten (= Ritter) Gregor vermittelt sie Taufe und Heil, Katharina möge zerstören die Gewalt des Unglücks“.

Oder (2. Deutung):

„Stiftung des Soldaten (= Ritter) Gregor. Möge Katharina Taufe und Heil vermitteln und die Macht des Unglücks allmorgendlich zunichte machen.“

Der zweite Teil der Inschrift ist klar, es handelt sich um eine Katharinen-glocke. Die Burgkapelle war also der Heiligen Katharina von Alexandrien geweiht. In der Katharinenlegende (4) stirbt Katharina den Märtyrertod, weil sie standhaft für den christlichen Glauben eintrat.

Des weiteren wird im zweiten Teil der Inschrift über Taufe und Heil berichtet. In heutiger Zeit würden wir denken, es handelt sich um eine Glocke, die zur Taufe eines Kindes geläutet wurde. Im Mittelalter versteht man Taufe (5) als einen Ritus, der die Reinigung von religiös definierter Schuld (Sünde bzw. Erbsünde) beinhaltet und in der Folge die persönliche Erfahrung einer Gottesnähe ermöglicht. Die symbolische Taufhandlung gilt als Teilhabe an der Sündenvergebung durch den Tod Christi am Kreuz und wird als die „Eingliederung in den gestorbenen und auferstandenen Christus“ und damit als Eingliederung in die kirchliche Gemeinschaft begriffen.

Es könnte ein Hinweis darauf sein, dass Loretta von Sponheim die Glocke in Auftrag gegeben hat. Durch die Entführung des Balduin von Luxemburg, Erzbischof von Trier, im Jahre 1328, wurde Loretta vom Papst exkommuniziert und hatte somit ihr Seelenheil verloren. Außerdem betrachtete sie sich selbst wohlmöglich als Märtyrerin für die hintere Grafschaft Sponheim, weil ihr Handeln für sie uneigennützig war. Sie hat durch die Lösegeldzahlung und erpressten Zugeständnisse des Balduin von Trier, die Herrschaft und das Fortbestehen der hinteren Grafschaft Sponheim für ihren erstgeborenen Sohn, Johann III., gerettet. Bereits ein Jahr vor der Entführung des Balduin von Trier, musste Friederich von Kyrburg nach dessen Gefangennahme, in einer Urkunde (6) vom 12.3.1327, einen Treueeid für sich und seinen ältesten Sohn, auf Lorettas Sohn, Johann, leisten. Johann III wurde im Jahre 1331 Regent der hinterm Grafschaft Sponheim. Er regierte die Grafschaft 67 Jahre lang.

Der erste Teil der Inschrift dreht sich um einen Ritter Gregor. In der zweiten Deutung wird vermutet, es handele sich hierbei um den Stifter der Glocke.
Ich konnte allerdings bei der Durchsuchung der digitalen Sponheimischen Urkunden, sowohl im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, München (Regesten des Johannes Mötsch), wie auch im Landeshauptarchiv Koblenz, keinen sponheimischen Vasallen mit dem Namen Gregor ermitteln.
Folglich handelt es sich wahrscheinlich um den heiligen Gregorius, dem in der ersten Deutung der Inschrift „Heil und Taufe“ vermittelt werden.
In der Gregorius Legende (7) entstammt er aus einer Inzestbeziehung, zweier Königskinder aus Aquitanien, auf Rat ihres sterbenden Vaters.
Das Kind wird mit einer Tafel, die seine vornehme Herkunft belegt, in eine Schachtel gelegt und in einem Kahn auf das Meer geschickt, auf dass Gott es – gemäß seiner Bestimmung – verderben lasse oder an ein fernes Ufer treibe, wo es gerettet werde.
Der Knabe wird auf einer Kanalinsel von einem Abt aus dem Wasser gefischt, der seine Erziehung und Taufe übernimmt. Eine umfangreiche Bildung des Jungen und auch einige argumentative Finten des Abtes vermögen jedoch nicht zu verhindern, dass der herangereifte Gregorius statt sich in den Stand der Geistlichkeit zu fügen, Ritter werden will, was aber auch daher kommt, dass er von seiner sündigen Herkunft erfährt.
Der Jungritter befreit eine belagerte Stadt, die von einer allein regierenden Frau verteidigt wird. Gregorius besiegt den Belagerer im Zweikampf und freit um die Herrin der Stadt, die so seine Gattin wird.
Erst eine Magd entdeckt das Geheimnis des neuen Herren, der seine auf der mitgeführten Tafel dokumentierte Abkunft täglich beweint und verrät an ihre Herrin, die so erfährt, dass sie Mutter und Gattin desselben Mannes ist.
Der Reue wegen der Tat, die für die Mutter zudem eine Wiederholungstat ist, fordert empfindliche Bußen. Während die zuvor schon einem christliche Lebenswandel zugeneigte Mutter nun vollends den Schleier nimmt und auf Hab und Gut verzichtet, zieht sich Gregorius auf einen Felsen zurück, auf den er sich von einem Fischer ketten lässt. Nach 17 Jahren Buße stirbt der Papst. Der Herr erscheint den zwei als Papstnachfolger favorisierten Kardinälen und verkündet Ihnen, einen heiligen Mann, der auf einer Insel in Aquitanien lebe, als nächsten Papst bestimmt zu haben. Gregorius wird gesucht, gefunden und zum Papst gekrönt. Er erreicht mit dem Amt des Papstes die endgültige Entsühnung und Heilsgewissheit. Die Mutter wird von ihren Sünden losgesprochen.
Die Gregoriuslegende wurde von Hartmann von Aue um 1200 niedergeschrieben. Vom Autor weitgehend dem Publikum überlassen, bleibt die Interpretation, wie schwer die unverschuldete Sünde der Geburt aus einem Inzest und die ungewusste Sünde des eigenen Inzests wiegen. Als Vorlage für Hartmann von Aue gilt die anonyme altfranzösische Erzählung, „Vie du pupe Gregoire“.
Es ist also höchstwahrscheinlich, dass Loretta als geborene Gräfin von Salm aus den Vogesen (Frankreich), bereits in früher Jugend mit der Gregoriuslegende vertraut war. Auch hier spiegeln sich die Gedanken der Loretta von Sponheim wieder. Genau wie Gregorius, der ungewollt sein Seelenheil verloren hat, war die Entführung des Balduin von Trier, für sie die einzige Möglichkeit, die Gebietsansprüche der hinteren Grafschaft Sponheim zu bewahren, nachdem die Sponheimer militärisch gegen Kurtrier unterlegen waren und somit das Herrschaftsgebiet für ihren ältesten Sohn Johann zu sichern.
Im Mittelalter war die Heiligenverehrung (8) weit verbreitet. Die Heiligen waren allgegenwärtig, im Gottesdienst, bei Heiligenfesten und Prozessionen. Die Lebensbeschreibungen von Heiligen waren bei lesekundigen Damen aus dem Adel eine beliebte Lektüre. Durch die Fürsprache eines Heiligen erhofft man sich eine göttliche Gunst. Noch sehr viel stärker als heute hatten die Menschen des Mittelalters ein Bedürfnis nach göttlicher Nähe. Da Christus und Gott für den Einzelnen unerreichbar schienen, wandte man sich an die Heiligen, die, so die Auffassung der Kirche, schlichtweg näher bei Gott waren. Einem solchen Menschen wird Gott, so der Glaube, keine Bitte abschlagen. Der Heilige war Mittler zwischen Gott und den Gläubigen.
Für Loretta von Sponheim waren die Heiligen Gregorius und Katharina, die  Fürbitter für die Vergebung ihrer Sünden bei Gott. Sie war um ihr Seelenheil wohl sehr besorgt, in mehreren Urkunden aus dem Jahre 1330 werden ihr Bußen auferlegt, die sie und ihre Helfer auch erfüllten. Sie reiste sogar zum Papst nach Avignon um Vergebung für ihre Missetat zu erbitten.
Ein weiterer Hinweis für die Glockenspende der Loretta von Sponheim ist wohl ihre Entscheidung, die Frauenburg als Witwensitz zu wählen. In einer Urkunde (9) vom 20.01.1315 wurde ihr Burg Herrstein als Witwensitz zugesagt. Ihre Entscheidung auf der weit abgelegenen Frauenburg zu leben, konnte in der bisherigen Literatur nie eindeutig beantwortet werden. Es war wohl der Wunsch ihr verlorenes Seelenheil zurückzugewinnen. Wie Gregorius, der 17 Jahre auf einem Felsen einer abgelegenen Insel verbrachte und dem danach seine Sünden vergeben wurden.
Die Exkommunikation der Loretta von Sponheim wurde nach einer Urkunde (10) vom 04.05.1330 durch Papst Johannes XXII. aufgehoben. Ob danach ihr Gewissen frei von Sünden war, wissen wir nicht. Sie lebte auf der Frauenburg bis zu ihrem Tode im Jahre 1346.

Der Guss der Frauenberger Gemeindeglocke dürfte um das Jahre 1330 erfolgt sein. Die Ortsgemeinde kann stolz sein, ein solch historisches Kleinod zu besitzen.

 

Frauenberg, den 07.08.2016

Joachim Bechtel

Quellen:
1) Internet, Wikipedia, Glocke
2) Freimut Heiderich, Frauenberg-Sonnenberg-Winnenberg, Herrschaft und Bauern im Umfeld der Frauenburg, Seite 247.
3) Landratsamt Birkenfeld, Az. 1/360-00- vom 31.12.1963
4) Internet, Wikipedia, Katharina von Alexandrien
5) Internet, Wikipedia, Taufe
6) Bayerisches Hauptstaatsarchiv Grafschaft Sponheim, Urkunde 201
7) Internet, Wikipedia, Gregorius
8) Internet, Religion, Heiligenverehrung
9) Bayerisches Hauptstaatsarchiv Grafschaft Sponheim, Urkunde 157
10) Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Grafschaft Sponheim, Urkunde 221