Nachbarn dürfen zur Selbsthilfe greifen

Mittwoch, 24. November 2021, Nahe-Zeitung, Seite 16

Nachbarn dürfen zur Selbsthilfe greifen

Schon die Zapfen einer Schwarzkiefer können unter Nachbarn einen Streit auslösen, wenn sie in den falschen Garten fallen. Foto: dpa

Bei Streit um Äste und Wurzeln gibt es strenge Regeln

Kreis Birkenfeld. Der Baum, die Hecke oder der Strauch an der Grundstücksgrenze sind Klassiker unter den Gründen für Zoff unter Nachbarn. Besonders erbittert wird erfahrungsgemäß dann gestritten, wenn Äste über den Gartenzaun ragen oder sich Wurzeln über die Grenze ausdehnen. Müssen Eigentümer solche Beeinträchtigungen von nebenan hinnehmen? Oder dürfen sie selbst zur Schere greifen? Und was ist, wenn das den Baum gefährdet? Diese Fragen beschäftigen auch die Experten des Eigentümerverbands Haus und Grund Rheinland-Pfalz immer wieder. Spannende Antworten liefern nun zwei aktuelle Entscheidungen, auf die der Verband hinweist: ein grundsätzliches Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Juni 2021 (Aktenzeichen V ZR 234/19) und ein daran angelehntes Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 11. August (Aktenzeichen 2 S 132/20).

Betroffene Nachbarn dürfen grundsätzlich zur Tat schreiten

Die wichtigste Nachricht vorweg: Wer durch Äste und Wurzeln vom Nachbargrundstück beeinträchtigt wird, darf im Rahmen der Selbsthilfe tätig werden. „Das gilt nach der jüngsten BGH-Entscheidung sogar dann, wenn das Abschneiden die Standfestigkeit oder sogar das Überleben des Baums oder Strauchs gefährdet“, erläutert Ralf Schönfeld. Der Verbandsdirektor von Haus & Grund Rheinland-Pfalz betont allerdings, dass das Recht nur dann gewährt ist, wenn einige Grundvoraussetzungen erfüllt sind.

Das Recht zur Selbsthilfe setzt voraus, dass die herüberwachsenden Äste und Wurzeln die Benutzung des Nachbargrundstücks objektiv feststellbar beeinträchtigen. Diese liegen etwa vor, wenn Äste die Auffahrt zur Garage verengen oder Spielgeräte wie eine Schaukel in ihrer Funktionsträchtigkeit eingeschränkt werden. Dabei bedarf es nicht unbedingt einer direkten Beeinträchtigung durch die Äste selbst – auch herabfallendes Laub oder Zapfen können bereits genügen. Der betroffene Nachbar muss dem Eigentümer des Baums oder Strauchs eine angemessene Frist zur Beseitigung gesetzt hat und diese erfolglos abgelaufen sein. Was „angemessen“ ist, richtet sich auch nach gärtnerischen und naturschutzrechtlichen Belangen, etwa dem Rückschnittverbot während der Brutzeiten.

Der Rückschnitt darf zudem maximal bis zur Grundstücksgrenze erfolgen. Zudem darf das Abschneiden keinen Verstoß gegen Vorgaben des Naturschutzes wie Baumschutzsatzungen darstellen. Gilt ein entsprechendes Verbot und keine Möglichkeit zur Befreiung oder Ausnahme, dann ist das Selbsthilferecht ausgeschlossen.

Störende Wurzeln führten zum Rechtsstreit

Gegenstand des BGH-Entscheids waren die bereits abgeschnittenen Äste einer 40 Jahre alten und 15 Meter hohen Schwarzkiefer. Das Frankenthaler Landgericht musste sich mit den störenden Wurzeln einer Fichte an einer Grundstücksgrenze in Grünstadt beschäftigen. Der Nachbar wollte die Erlaubnis zur Beseitigung, weil ihn die Wurzeln beim Mähen seines Rasens stören. Die Eigentümer des Baums führten ins Feld, dass dies zum Tod der Fichte führen würde.

„Die Richter beriefen sich bei ihrem mittlerweile rechtskräftigen Urteil auf den Bundesgerichtshof und dessen Festlegung, dass die Frage der Gefährdung des jeweiligen Baums nicht von Belang ist“, so Schönfeld. Das begründeten beide Gerichte damit, dass das Selbsthilferecht eine einfache Hilfe bieten und darum nicht auf Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit geprüft werden soll. Also entschied das Gericht, dass die Eigentümer die Beseitigung der Wurzeln dulden müssen – allerdings nur für Wurzeln, die den Nachbarn tatsächlich beeinträchtigen.

Friedliche Einigung sollte zumindest versucht werden

Bevor ein solcher Streit vor Gericht landet, rät Schönfeld allen Beteiligten dazu, eine friedliche Einigung zumindest zu versuchen. „Das geht meist schneller als der Weg über Anwälte und Gerichte. Es spart zudem im Zweifel viel Geld und ist vor allem besser für das künftige Miteinander.“ Baumeigentümer sollten zudem wissen, dass eine solche Selbsthilfe der Nachbarn überhaupt nur erforderlich werden kann, wenn der Eigentümer zuvor seiner Verantwortung nicht gerecht geworden ist. Sie besteht darin, Äste und Zweige gar nicht erst über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen zu lassen. Andererseits ermahnt Schönfeld Nachbarn zu etwas Nachsicht: Nicht jeder kleine Überhang müsse gleich in einen Rechtsstreit münden. Zumal die Frage bleibt, ob dies bereits die verlangte objektive Beeinträchtigung darstellt.

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